Mittwoch, 24. Juli 2019

World of Kanako

























Regie: Tetsuya Nakashima

Durst...

Tetsuya Nakashima ist einer der interessantesten japanischen Filmemacher. Er hat sich binnen kürzester Zeit neben Veteranen wie Takashi Miike (Audition, Ich, der Killer) und Sion Sono (Cold Fish, Love Exposure) in die kollektive Wahrnehmung des japanischen Kino etabliert. Dabei ist sein Stil geprägt von einer recht harten Gangart. "Memories of Matsuko" aus dem Jahr 2006 bleibt in Erinnerung als buntes, völlig wahnwitziges Musicaldrama über eine tragische Lebensgeschichte. Der Film begründete seinen internationalen Erfolg, den er mit "Geständnisse" aus dem Jahr 2011 noch weiter ausbauen konnte. Für mich persönlich war dieser ruhige, unterkühlte und nihilistische Rachefilm über Lehrer und Schüler der beste Film des Jahres. Beide Werke sind sehr unterschiedlich und sein neuester Film "World of Kanako" scheint eine gewisse Verbindung aus beiden vorangegangenen Filmen zu sein. "World of Kanako" ist bunt, laut, schrill und vor allem extrem brutal, mit sehr überzogen dargestellter Gewalt und sehr blutig. Die Figuren sind an Bosheit kaum mehr zu toppen, das ganze Szenario ist durch und durch unangenehm...dennoch wird man wieder belohnt mit einem der besten Filme des Jahres.
Die junge und extrem süße Schülerin Kanako (Nana Komatsu) ist der Sonnenschein ihrer Schule, sie ist das beliebteste Mädchen von allen. Die anderen Girls wollen sie zur Freundin haben und die Jungs würden gerne mit ihr ausgehen. Doch ein dunkler Fleck belastet die Mittelschule, denn Kanakos Exfreund Seji Ogata (Hitoshi Hoshino) hat sich suizdiert. Der Junge galt als sehr schwach und wurde von seinen Mitschülern gemobbt. Auch "Ich" (Hiroya Shimizu), der Erzähler der Rückblenden, die beleuchten, was sich von vor 3 Jahren bis heute an der Mittelschule ereingnet hat, ist schwer verliebt in Kanako und ein typisches Opfer für die brutalen Spiele seiner stärkeren Mitschüler. Er wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedemütigt und körperlich angegangen. Nur Kanako scheint ihn zu mögen und es bahnt eine zarte Freundschaft. Sie nimmt ihn auch mit auf die Party von Yasuhiro Matsunaga (Mahiro Takasuki), einem Mitschüler mit kriminellen Ambitionen und dick in Drogengeschäften verstrickt.
Kanako wird inzwischen von ihrem Vater Akihiro Fujishima, einem aggressiven Ex-Cop (Koji Yakusho) gesucht, nachdem er von seiner Exfrau (Asuko Kurosawa) erfahren hat, dass das Mädchen spurlos verschwunden ist. Der Mann ist seine Impulse nur schwer unter Kontrolle und ist in dauerhafter Behandlung wegen manisch-depressiver Episoden. Er macht sich sofort auf die Suche nach ihr. Doch sehr schnell findet er heraus, dass sich hinter dem Verhalten seiner Tochter auch ganz große dunkle Geheimnisse auftun.
Früher hat er sich zwar nie sonderlich um seine Tochter gekümmert, aber nun schöpft er Hoffnung, dass mit einer erfolgreichen Suche, die Familie wieder zusammenkommen könnte. Eine trügerische Illusion, die der alkoholkranke und brutale Vater sich da zusammenspinnt. Denn es gibt nicht nur traumatische Familienerlebnisse, die er selbst verursacht hat. Er lässt sich auch blenden von einer falschen Einschätzung der eigenen Tochter, die eben nicht dieses engelgleiche Wesen ist, das man in ihr sieht, sondern eine manipulative Ausgeburt des Bösen...



und so fällt der Apfel nicht weit vom Stamm, das wird sehr spät in Nakashimas bildgewaltigen und provokantem Thriller klar. So überzeichnet der japanische Regisseur sogar noch David Finchers "Gone Girl", der vor kurzem mit diesem Muster aufräumte, dass das vermeintliche Entführungopfer immer grundgut und Opfer sein müsste.
Nakashima zeigt dem Zuschauer ein Welt, die keine Erlösung hervorbringt...für niemanden. So sehr die gewalttätigen Bilder auch überzeichnet dargestellt sind, der Zuschauer kann sich nicht in die Hoffnung flüchten, dass es sich hier bei dieser Geschichte um eine erdachte und kinogerechte Welt handeln würde. Diese abstrakte Fiktion wirkt auch immer wieder realistisch. Als Zuschauer begegnet man eine brutalen Welt aus Drogen, Gewalt, Folter und Vergewaltigung, die nicht nur draussen stattfindet, sondern auch in den eigenen vier Wänden, im geschützten Rahmen der Familie. Auch verschwimmen immer wieder die gängigen Muster von Gut und Böse. Fujishimas Expartner und jetziger ermittelnder Beamter Detective Asai (Satoshi Tsumabuki) wirkt undurchsichtig. Andere Polizisten wie Detective Aikawa (Joe Odagiri) sind richtige Verbrecher. Und selbst Kanakos Lehrerin (Miki Nakatani) hat etwas zu Verbergen. Nakashimas Film wird nicht jedermann gefallen, denn die explizite Brutalität ist ein tragender Bestandteil der Geschichte. "World of Kanako" erinnert wegen seiner Radikalität auch ein bisschen an Park Chan wooks "Oldboy". Auch hier herrscht eine zutiefst dreckige, unangenehme Welt vor. Wer sich darauf einlassen kann, der wird mit einem misanthropisch-düsteren Meisterwerk über menschliche und gesellschaftliche Abgründe belohnt. Die Inszenierung ist nahezu perfekt, die Darsteller allesamt emotional. Dabei ist der junge Hiroya Shimizu besonders hervorzuheben, der als "Ich" zwei Aufgaben bravourös meistert: Er ist für eine gewisse Zeit die einige Figur, mit der man sich identifizieren kann. Er wird sich allerdings verändert. Ausserdem hält er als Schlüsselfigur die Geschichte dramaturgisch gut zusammen und bildet sozusagen einen Anhaltspunkt zwischen dem Suchenden und der Gesuchten.


Bewertung: 10 von 10 Punkten.

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