Regie: Tetsuya Nakashima
Durst...
Tetsuya Nakashima ist einer der interessantesten japanischen
Filmemacher. Er hat sich binnen kürzester Zeit neben Veteranen wie
Takashi Miike (Audition, Ich, der Killer) und Sion Sono (Cold Fish, Love
Exposure) in die kollektive Wahrnehmung des japanischen Kino etabliert.
Dabei ist sein Stil geprägt von einer recht harten Gangart. "Memories
of Matsuko" aus dem Jahr 2006 bleibt in Erinnerung als buntes, völlig
wahnwitziges Musicaldrama über eine tragische Lebensgeschichte. Der Film
begründete seinen internationalen Erfolg, den er mit "Geständnisse" aus
dem Jahr 2011 noch weiter ausbauen konnte. Für mich persönlich war
dieser ruhige, unterkühlte und nihilistische Rachefilm über Lehrer und
Schüler der beste Film des Jahres. Beide Werke sind sehr unterschiedlich
und sein neuester Film "World of Kanako" scheint eine gewisse
Verbindung aus beiden vorangegangenen Filmen zu sein. "World of Kanako"
ist bunt, laut, schrill und vor allem extrem brutal, mit sehr überzogen
dargestellter Gewalt und sehr blutig. Die Figuren sind an Bosheit kaum
mehr zu toppen, das ganze Szenario ist durch und durch
unangenehm...dennoch wird man wieder belohnt mit einem der besten Filme
des Jahres.
Die junge und extrem süße Schülerin Kanako
(Nana Komatsu) ist der Sonnenschein ihrer Schule, sie ist das
beliebteste Mädchen von allen. Die anderen Girls wollen sie zur Freundin
haben und die Jungs würden gerne mit ihr ausgehen. Doch ein dunkler
Fleck belastet die Mittelschule, denn Kanakos Exfreund Seji Ogata
(Hitoshi Hoshino) hat sich suizdiert. Der Junge galt als sehr schwach
und wurde von seinen Mitschülern gemobbt. Auch "Ich" (Hiroya Shimizu),
der Erzähler der Rückblenden, die beleuchten, was sich von vor 3 Jahren
bis heute an der Mittelschule ereingnet hat, ist schwer verliebt in
Kanako und ein typisches Opfer für die brutalen Spiele seiner stärkeren
Mitschüler. Er wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedemütigt und
körperlich angegangen. Nur Kanako scheint ihn zu mögen und es bahnt eine
zarte Freundschaft. Sie nimmt ihn auch mit auf die Party von Yasuhiro
Matsunaga (Mahiro Takasuki), einem Mitschüler mit kriminellen Ambitionen
und dick in Drogengeschäften verstrickt.
Kanako wird
inzwischen von ihrem Vater Akihiro Fujishima, einem aggressiven Ex-Cop
(Koji Yakusho) gesucht, nachdem er von seiner Exfrau (Asuko Kurosawa)
erfahren hat, dass das Mädchen spurlos verschwunden ist. Der Mann ist
seine Impulse nur schwer unter Kontrolle und ist in dauerhafter
Behandlung wegen manisch-depressiver Episoden. Er macht sich sofort auf
die Suche nach ihr. Doch sehr schnell findet er heraus, dass sich hinter
dem Verhalten seiner Tochter auch ganz große dunkle Geheimnisse auftun.
Früher hat er sich zwar nie sonderlich um seine Tochter
gekümmert, aber nun schöpft er Hoffnung, dass mit einer erfolgreichen
Suche, die Familie wieder zusammenkommen könnte. Eine trügerische
Illusion, die der alkoholkranke und brutale Vater sich da
zusammenspinnt. Denn es gibt nicht nur traumatische Familienerlebnisse,
die er selbst verursacht hat. Er lässt sich auch blenden von einer
falschen Einschätzung der eigenen Tochter, die eben nicht dieses
engelgleiche Wesen ist, das man in ihr sieht, sondern eine manipulative
Ausgeburt des Bösen...
und so fällt der Apfel nicht weit vom Stamm, das
wird sehr spät in Nakashimas bildgewaltigen und provokantem Thriller
klar. So überzeichnet der japanische Regisseur sogar noch David Finchers
"Gone Girl", der vor kurzem mit diesem Muster aufräumte, dass das
vermeintliche Entführungopfer immer grundgut und Opfer sein müsste.
Nakashima
zeigt dem Zuschauer ein Welt, die keine Erlösung hervorbringt...für
niemanden. So sehr die gewalttätigen Bilder auch überzeichnet
dargestellt sind, der Zuschauer kann sich nicht in die Hoffnung
flüchten, dass es sich hier bei dieser Geschichte um eine erdachte und
kinogerechte Welt handeln würde. Diese abstrakte Fiktion wirkt auch
immer wieder realistisch. Als Zuschauer begegnet man eine brutalen Welt
aus Drogen, Gewalt, Folter und Vergewaltigung, die nicht nur draussen
stattfindet, sondern auch in den eigenen vier Wänden, im geschützten
Rahmen der Familie. Auch verschwimmen immer wieder die gängigen Muster
von Gut und Böse. Fujishimas Expartner und jetziger ermittelnder Beamter
Detective Asai (Satoshi Tsumabuki) wirkt undurchsichtig. Andere
Polizisten wie Detective Aikawa (Joe Odagiri) sind richtige Verbrecher.
Und selbst Kanakos Lehrerin (Miki Nakatani) hat etwas zu Verbergen.
Nakashimas Film wird nicht jedermann gefallen, denn die explizite
Brutalität ist ein tragender Bestandteil der Geschichte. "World of
Kanako" erinnert wegen seiner Radikalität auch ein bisschen an Park Chan
wooks "Oldboy". Auch hier herrscht eine zutiefst dreckige, unangenehme
Welt vor. Wer sich darauf einlassen kann, der wird mit einem
misanthropisch-düsteren Meisterwerk über menschliche und
gesellschaftliche Abgründe belohnt. Die Inszenierung ist nahezu perfekt,
die Darsteller allesamt emotional. Dabei ist der junge Hiroya Shimizu
besonders hervorzuheben, der als "Ich" zwei Aufgaben bravourös meistert:
Er ist für eine gewisse Zeit die einige Figur, mit der man sich
identifizieren kann. Er wird sich allerdings verändert. Ausserdem hält
er als Schlüsselfigur die Geschichte dramaturgisch gut zusammen und
bildet sozusagen einen Anhaltspunkt zwischen dem Suchenden und der
Gesuchten.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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