Dienstag, 16. April 2019

Climax

























Regie: Gaspar Noe

Explodierender Tanz....

"Climax" von Gaspar Noe fängt mit einer der besten Tanzszenen der Filmgeschichte an. Zu dem Sound von Cerrones "Supernature" performt eine Gruppe von französischen Tänzerinnen und Tänzer eine total dynamische Nummer mit viel Drive, die den kleinen heruntergekommenen Ballsaal beinahe schon zum Explodieren bringt. Kurz vorher hat der Filmemacher sein Werk mit dem Schluß - einer Szene vom Ende der rauschenden Party - begonnen. Es folgen die Videoaufnahmen dieser jungen begeisterten Tänzer, die sich alle auf die kommende Tournee in die USA freuen. Emmanuelle ((Claude Gajan-Maull) ist die Choreographin der Gruppe, sie hat ihren kleinen Jungen Tito (Vince Galliot Cumant) dabei, der auch schon tanzend auf dem Parkett wirbelt. DJ Daddy (Kiddy Smile) ist für die Vibes zuständig, er entscheidet sich für Songs wie "Pump up the Volume" von Mars, "Born to be alive" von Patrick Hernandez" oder "The Worlds" von Suburbian Knight.
Die junge Psyche (Thea Carla Schott) kommt aus dem drogenverseuchten Berlin und findet Paris nicht ganz so chaotisch. Selva (Sofia Boutella) wird von David (Roman Guillermic) angebaggert, der den Ruf hat mit jedem Mädchen der Gruppe schon was gehabt zu haben. Lou (Souheila Yacoub) ist schwanger und Riley (Lakdhar Dridi) ist schwul - allerdings noch Jungfrau. Einen Zustand, den er vielleicht heute Nacht endlich verlieren würde. Zumindest ist er an David interessiert. Die Geschwister Taylor (Taylor Kastle) und Gazelle (Giselle Palmer) zanken sich ständig, weil Taylor als der ältere Bruder zu sehr Aufpasser spielt. Ausserdem dabei Ivana (Sharleen Temple), Lea (Lea Vlamos), Alaia (Alaia Alsafir), Rocket (Kendall Mugler), Omar (Adrien Sissoko), Bats (Mamadou Bathily), Alou (Alou Sidibe), Ashley (Ashley Biscette), Mounia (Mounia Nassangar), Sila (Tiphanie Au), Sara (Sarah Betala), Cyborg (Alexandre Moreau), Naab (Naab) und Strauss (Strauss Serpent). Macht zusammen 21 exzellente Tänzer, die sich ständig bewegen und ab einem gewissen Zeitpunkt dieser Nacht sich hemmungslos der Raserei hingeben.
Schuld könnte die Sangria sein, denn bald vermuten die Tänzer, dass irgendjemand dort was reingetan hat. Ein höllischer und kollektiver LSD-Trip macht sich immer mehr breit. Ein Reigen des Rausches, der in absoluter Leere endet - oder besser gesagt in einer Katastrophe, denn nicht alle überleben die Party, die sich von Spass und Lebensfreude in Paranoia und Aggression verwandelt.
Die Choreographie die Gaspar Noe hier aufbietet ist phasenweise atemberaubend und sein Film - wie kann es anders sein - sprengt in Aufbau und Ablauf einfach mal wieder die Grenzen des Kinozuschauers.





Irgendwann läuft mitten im Film plötzlich der Vorspann ab und stellt die Performer mit Namen vor - bei Noe ist alles etwas anders. Er hat aber diesen einmaligen Riecher für Rhythmus und so bleibt die aus dem Ruer laufende Tanzparty immer in Action. Es braucht nicht mehr als diesen Ballsaal und die etwas klaustrophobisch wirkenden Gängen, durch die die Tänzer laufen. Immer mehr hilflos, da sie nicht wissen, wie diese Droge weiter wirkt. Sie geben sich ihren Gefühlen hin, können ja auch nicht anders in dieser Ohnmacht. Dabei ist die Stimmung natürlich auch sexuell aufgeladen. Das Tanzen entwickelt sich und verschmilzt zu einer formvollendeten Leidenschaft. Eigentlich sind alle Akteure in gewisser Weise egozentrische Einzelkämpfer, doch ihre Körper bilden gemeinsam eine homogene Masse. Doch sie sind in diesem Trip gefangen und es gelingt ihnen nicht diese psychoaktiven Geister zu vertreiben. Also bleibt nur zwei Möglichkeiten: Abfeiern oder zu verzweifeln.
Wie Luca Guadagninos Remake von "Suspiria" setzt auch Noe auf den Tanz. Und die tanzenden Amateure hatten offenkundig einen Heidenspass sich zu präsentieren.
Die Mischung aus Musical und Bodyhorror behandelt im Rauschzustand elementare Themen wie Leben, Sexualität und Sterben.







 Regie: 9 von 10 Punkten.

Suspiria (2018)

























Regie: Luca Guadagnino

Hexentanz....

Dario Argentos Müttertrilogie (Suspiria, Inferno, Mother of Tears) handelt von drei Hexengeschwistern, die aus alten Gebäuden (Freiburg, New York, Rom) heraus Morde dirigieren und Schrecken verbreiten. Es sind die drei Mütter Mater Suspiriorum, Mater Tenebrarum sowie Mater Lachrymarum, die im frühen Mittelalter gemeinsam wirkten und später jeweils ihr eigenes Herrschaftsgebiet besitzen.
Mit "Suspiria" gelang ihm 1977 eines der größten Meisterwerke im Horrorgenre, auch der Nachfolger "Horror Infernal" (Inferno) im Jahr 1980 war grandios inzeniert - beide Filme glänzen mit unvergessenen Szenen und einer grandiosen Bildsprache.
Umso schwieriger dürfte es für Luca Guadagnino diese hohe Meßlatte mit seinem "Suspiria" Remake zu erfüllen. Doch der Regisseur des Überraschungshits "Call me by your name" hat alles richtig gemacht, auch wenn seine Version nicht ganz an den Argento Klassiker heranreicht. Aber insgesamt belebt dieser Hexentanz in Berlin das Horrorgenre sehr willkommen mit guter Qualität und einer großartigen Tilda Swinton.
Die glänzt nämlich nicht nur in der Rolle der Madame Blanc, Balletmeisterin und Leiterin dieser Schule in Berlin. Dabei ließ sich die Schauspielerin von Vorbildern wie Pina Bausch und Martha Graham inspirieren. Sie übernahm noch zwei weitere Rollen, in denen sie im Laufe des gesamten Films nicht zu erkennen ist. Erst im Nachhinein wurde ich auf die Kunst dieser Dreifachrolle aufmerksam. Swinton spielt auch die alterschwache Hexenmatrone Helena Markos, die in den Körper eines der tanzenden Mädchens schlüpfen will und sie hat auch die Rolle des alternden Psychologen Dr. Josef Klemperer übernommen - im Cast erscheint aber der Name Lutz Ebersdorf. Es gibt natürlich keinen Lutz Ebersdorf, sondern der alte Mann wird von Tilda Swinton verkörpert. Wow...kann man da nur sagen.
Die Geschichte selbst hat Guadagnino von Freiburg im Breisgau (Original) nach Berlin verlegt. Im Jahr 1977, in der die Geschichte spielt, ist die Hauptstadt natürlich noch geteilt - der deutsche Herbst hat seinen Höhepunkt erreicht und der Psychologe Dr. Josef Klemperer betreut die junge Patientin Patricia Hingle (Chloe Grace Moretz), die in dieser ominösen Academy tanzt und ganz nebenbei noch mit der Baader-Meinhof Gruppe sympathisiert. Sie erzählt seltsame Geschichten, die in der Tanzakademie vorgehen sollen. Hexen sollen sie sein, diese Lehrerinnen und irgendwas würde mit den Schülerinnen passieren. Sie hätten alle seltsame und mysteriöse Träume. Dann verschindet Patricia - in der Schule selbst wirft dies Fragen auf. Und die junge Olga Ivanova (Elena Fokina), die beste Freundin von Patricia, ahnt auch, dass die Schülerin dort manipuliert werden. Die junge Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) kommt wie gerufen, denn die schule braucht Ersatz für die Vermisste. Das Vortanzen entzückt nicht nur die gestrengen Lehrerinnen (u.a. Angela Winkler, Sylvie Testud, Ingrid Caven, Renee Soudendijk), sondern auch Susies großes Vorbild Madame Blanc. Susie freundet sich bald mit Sara Simms (Mia Goth) an. Die bemerkt bald, dass es in der Academy versteckte Räume gibt, in denen schreckliche Dinge geschehen...







Als die Jahrzehnte lang vermisste Ehefrau von Dr. Klemperer ist Jessica Harper zu sehen, die im 1977er Originalfilm die Susie Bannion spielte. Ein Geheimnis verbirgt auch Suzies sterbende Mutter in einer Rückblende, gespielt von Magosia Bela. Die Musik von Thom Yorke wirkt sehr atmosphärisch und passt perfekt zu diesem rätselhaften Horrortrip. Der thailändische Kameramann Sayombhu Mukdeeprom hat tolle Bilder geschaffen, er wurde bekannt durch seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Apichatpong Weerasethakul (Uncle Boonmee erinnert sich an sein früheres Leben). Mit 152 Minuten hat "Suspiria" für einen Horrorfilm fast schon monumentale Züge, aber zu keiner Sekunde kommt hier Langeweile auf. Schade, dass der Film seine hohen Kosten bisher nicht wieder einspielen konnte.  Es ist ein sehr gelungenes Remake eines unsterblichen Klassikers des Genres.








Bewertung: 8 von 10 Punkten.