Dienstag, 14. Oktober 2014

Das Cabinet des Dr. Caligari

























Regie: Robert Wiene

Die Mutter aller Horrorfilme in überwältigender Restauration...

Der junge Francis (Friedrich Feher) sitzt mit einem anderen Mann auf einer Parkbank. Als er eine Frau (Lill Dagover) vorbeigehen sieht, erklärt er "Das war meine Braut und was ich erlebt habe, ist noch viel seltsamer als allws, was Ihnen begegnet ist, ich werde es Ihnen erzählen". In dieser Rückblende tut sich vor dem Auge des Zuschauers der Vorhang auf in die norddeutsche Kleinstadt mit dem Namen Holstenwall. Dort ist gerade Jahrmarkt und man sieht das Treiben im Städtchen verzerrt durch schräge Linien, schiefen Hausfassaden und Wände, geneigte Ebenen, unklare Wege oder schräg hängende Laternen. Dort lebt Francis und wird von seinem besten Freund Alain (Hans Heinrich von Twardowski) überredet sich ins Vergnüngen zu stürzen. Auf dem Jahrmarkt selbst gehört auch Dr. Caligari (Werner Krauss) zu den Schaustellern und Akteuren. Vom städtischen Beamten, der ihn sehr hochmütig und mit Verachtung behandelt hat, bekam er die Genehmigung, dass er sein Medium Cesare (Conrad Veidt), einen Somnambulen, präsentieren darf. Dieses zombieartige Wesen verbringt sein Leben in einem todesähnlichen Schlaf und kann nur durch die hypnotische Beeinflussung seines Meisters Caligari zum Leben erwachen. Das Publikum nähert sich neugierig. Noch während der Jahrmarkt im Gange ist, wird der Beamte, der die Genehmigung ausstellte, tot aufgefunden. Ein grässlicher Mord in der Kleinstadt, doch Francis und Alain befinden sich im Zuschauerraum und sehen die Erweckung des geheimnisvollen Mediums. Der Doktor gibt bekannt, dass Cesare in der Lage ist sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft zu sehen. Alain stellt ihm die Frage "Wie lange lebe ich noch ?", worauf das Medium "Bis zum Morgengrauen" antwortet. Ein Schock im ersten Moment, doch die beiden jungen Männer glauben der Wahrsagerei natürlich nicht und treffen auf dem Heimweg die hübsche Jane (Lil Dagover), in die sich beide Männer verlieben. Sie bemerken es und beschliessen, dass Jane entscheiden soll, wer ihr Herz erobern kann, Freunde wollen sie in jedem Fall bleiben. Dann ist Nacht. Am Morgen ist Alain tatsächlich tot. Wieder mit einem Messer, der zweite Mord innert weniger Stunden. Francis verdächtigt Caligari und beobachtet ihn. Dieser wacht neben einem sargähnlichen Kasten, in dem Cesare liegt. Dann geschieht ein dritter Mordversuch, der in letzter Sekunde von der Polizei vereitelt wird. War der Verdacht unbegründet ? Jedenfalls sitzt der vermeintliche Mörder im Gefängnis, aber dennoch wird Jane von Cesare in ihrem Bett angegriffen...



Am Ende einer wilden Verfolgungsjagd flieht Caligari in ein Irrenhaus. Francis scheint am Ziel seiner Ermittlungen im Fall Caligari angelangt zu sein: Es stellt mit Zeugen fest, dass Caligari mit dem Direktor identisch ist.  Mit Hilfe hypnotischer Beeinflussung wollte der wahnsinnige Wissenschaftler die totale Manipulierbarkeit von Somnambulen nachweisen. Es bleibt allerdings ungeklärt, wie aus dem Diretor Caligari werden konnte, der im 18. Jahrhundert in Italien lebte und mit seinem Medium die Dörfer bereiste. Auch damals gabs immer wieder Morde, die in diesem Umfeld verübt wurden. Als Francis seine Erzählung beendet hat, geht er in das Anstaltsgebäude. Er begegnet dort Cesare, dem Direktor, auch seiner Braut Jane. Der Direktor sieht nun nicht mehr verrückt aus, sondern macht einen ganz normalen Eindruck. Francis selbst gehört zu den Insassen des Irrenhaus und unterliegt den dort geltenden Gesetzen der Realität. Der Direktor erklärt seinen Helfern, dass Franics ihn für diesen verstorbenen Caligari hält, dass er ihn aber nun, wo er die Krankheit kenne, den Mann heilen kann...,
Das hervorstechendste Merkmal dieses bahnbrechenden, expressionistischen Stummfilms aus dem Jahr 1920 ist weder die Geschichte noch die Thematik, sondern der Dekor. Ob aus ökonomischen oder künstlerischen Beweggründen, es war jedenfalls ein gewaltiger Schritt von den üblich naturalistischen Bauten zu dieser völligen Künstlichkeit der Welt des Doktor Caligari. Die Ausstatter Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig waren Mitglieder der Berliner "Sturm"  Gruppe und machten aus der finanziellen Not der Decla Filmgesellschaft eine innovative Tugend. Sie erstellten statt aufwendiger Kulissen aus Pappe, Leinwand und Sperrholz eine unnaturalistische Alptraumvision. Dadurch, daß alles irreal, gestaucht, kubistisch, schief, eben anders erscheint, akzeptiert man als Zuschauer selbst einen Jahrmarkt, der eigentlich nur aus einem Leierkastenmann, einem Treppengeländer, einigen angedeuteten Zelten, zwei stilisierten Karussells, diversen durchs Bild strömenden Statisten und einem gemalten Hintergrund besteht. Zur Amtsstube im Rathaus führen kafkaeske, endlos erscheinende Korridore. Autoritäten sitzen auf absurd hohen Stühlen, Schatten auf Wänden und Gesichtern sidnd aufgemalt. Besonders das fingerdicke Makeup von Conrad Veidt wirkt enorm geisterhaft.
"Das Cabinet des Dr. Caligari" ist ein Film von Robert Wiene aus dem Jahr 1919 und wurde bei seiner Uraufführung 1920 zum riesigen Kinoerfolg. Als Sensation galt, dass nun die Kunst Einzug in das noch neue Medium Film gehalten hatte. Aus diesen Grunde wurde der deutsche Film der Weimarer Republik weltberühmt und drohte Hollywood den Rang abzulaufen. Es enstanden weitere Meisterwerke wie "Der Golem" (1920, Carl Boese, Paul Wegener), "Nosferatu" (1922, F.W.Murnau) oder "Metropolis" (1927, Fritz Lang). Auch Jahrzehnte später ist der Einfluss dieses Kino-Frühwerks in der Filmgeschichte noch zu spüren - er ist so etwas wie der Archetyp des Psychothrillers, der tief in die Abgründe der Seele blickt und auch lange nicht alle seine Geheimnisse preisgibt. Sogar Martin Scorseses "Shutter Island" dürfte sehr stark von diesem Meisterwerk inspiriert worden sein.
Der Expressionismus selb ist eine den Anfang des 20. Jahrhunderts prägende Kunstrichtung. Durch die Vereinfachung der Formen und den Einsatz von kräftiger, kontrastreicher Farbgebung war es eine Gegenbewegung zum Realismus, Naturalismus und Impressionismus. Im Grunde eine Kunst des gesteigerten Ausdrucks. Die Erben dieser Filme können in den beiden Genres Film Noir und Horrorfilm angesehen werden. Am Ende erscheint die Handlung unwirklich, da sie sich scheinbar als Hirngespinst eines Insassen einer Nervenheilanstalt entpuppt. Doch diese Erklärung steht auf brüchigem Boden, da es offensichtlich ist, dass hier auch Autoritäten attackiert werden und die Figuren des Films Mühe haben mit der eigenen Identität. "Wer bin ich ? " steht allgegenwärtig im Raum und auch die bange Frage, wer das Gegenüber ist.
Siegfried Kracauer zog 1947 in seinem einflussreichen Buch "Von Caligari zu Hitler" eine interessante sozialpsychologische Parallele zwischen dem Filmstoff und dem aufkommenden Nationalsozialismus.  So sieht er in Caligari eine der vielen Tyrannen-Figuren des Weimarer Republik. Die dem Drehbuch von Janowitz und Mayer durch Regisseur Robert Wiene hinzugefügte Rahmenhandlung interpretierte Kracauer als einen Akt politischer Verdrängung, da er die angebliche Intention des Films in sein Gegenteil verkehrt habe. Mit der Umkehrung der Rolle des Wahnsinnigen und des Gesunden sei die Autorität in Form Dr. Caligaris wieder bekräftigt worden. Für den Autor selbst, der die Allmacht der Staatsgewalt anprangern wollte, war Calgari das Symbol einer schrankenlosen Macht - die durch Militärdienstpflicht und Kriegserklärungen über Leben und Tod von Untertanen bestimmen können. Cesare dagegen das Bild des zum willenlosen Werkzeug abgerichtete kleinen Mannes und Francis fungiert als Vertreter der Vernunft und würde zumindest in eine positive Zukunft deuten, wenn da nicht Wienes fieser Widerhaken am Ende wäre, der Rätsel aufgibt.
Auf Grundlage des im Filmarchiv des Bundesarchivs erhaltenen Kameranegativs hat die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung eine digital restaurierte Fassung des Films in einer hochauflösenden 4 K-Version geschaffen. Die digitale Bildrestaurierung führte die in Bologna ansässige L´Immagine Ritrovata - Film Restoration & Conservation in den Jahren 2012 und 2013 aus, der Film erstrahlt somit jetzt in einem großartigem Glanz, wie es ihm auch gebührt.





Bewertung. 10 von 10 Punkten.

2 Kommentare:

  1. Hi Ray, dieses große Meisterwerk der Filmgeschichte habe ich tatsächlich und ungelogen vor ein paar Wochen zum ersten Mal gesehen! Unglaublich und unglaublich gut, besonders in der restaurierten Fassung.

    Ich danke Dir bei der Gelgenheit auch für deine netten Abschiedsworte auf meinem Blog, ich bin aber natürlich nicht aus der Welt und lese auch bei Dir regelmäßig weiter, das ist ja klar. Was das aktuelle Kino angeht, ja, ich bin halt in den letzten Monaten/Jahren so oft enttäuscht worden und habe auch irgendwie den Anschluss verpasst. Mit jetzt schon Mitte 40 (schluck) gehöre ich ja für viele Filme auch nicht mehr zur Zielgruppe, und wenn ich einen tollen Hitchcock, Wilder oder Lubitsch sehe, weiß ich, dass die Zeit von solch grandioser Unterhaltung vorbei ist. Fast noch bedauerlicher finde ich, dass auch das Arthouse-Kino mittlerweile so formelhaft geworden ist. Vom Blockbuster-Kino ist man das ja gewohnt. Vielleicht ist eben auch jede Geschichte tatsächlich schon erzählt. Macht aber nix, denn einen "Psycho" kann ich auch noch 500 weitere Male anschauen. Und da ich vor einiger Zeit auf Blu-Ray umgestiegen bin, kann ich jetzt immerhin schon oft Gesehenes noch in neuer Form genießen, das ist auch toll. :-) Bis demnächst, liebe Grüße, Mathias

    AntwortenLöschen
  2. Ich hab "Das Cabinet" des Dr. Caligari auch erst vor kurzem zum ersten Mal gesehen und war begeistert - denn er steht auf einer Stufe mit Murnaus "Nosferatu". Was natürlich auch Hoffnung gibt, dass auch der Fundus an Klassikern noch nicht ganz aufgebraucht ist. Man kann soviel gutes, altes noch entdecken und kennenlernen. Und ja...diese Klassiker guckt man gerne ein zweites, drittes Mal...die neuen Filme sind nach einmaliger Sichtung in vielen Fällen abgehakt. Hoffen wir das der Wind sich mal wieder dreht in ein interessanteres Kino mit weniger 3D und Effektehascherei. Auch das Arthaus Kino war schon besser, da gebe ich Dir Recht...es ist leider so derart korrekt und mehrheitsfähig geworden, wenig provokatisches, aneckendes ist zu entdecken.
    LG Ray

    AntwortenLöschen