Sonntag, 30. Dezember 2018
Cold Skin
Regie: Xavier Gens
Die Insel der Kreaturen...
"Wer mit Ungeheuern kämpft, der mag zusehen, daß er daei nicht zum Ungeheuer wird. Und wenn Du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in Dich hinein" - ein Satz, der von Friedrich Nietzsche stammt und mit dem auch Xavier Gens Film "Cold Skin" beginnt . Die Stimme im Off ergänzt, während der Zuschauer ein Schiff auf dem Meer wahrnimmt "Wir sind denen, die wir hassen nie sehr entfernt. Aus genau diesem Grund werden wir denen, die wir lieben, nie wirklich nah sein". Die französisch-spanische Coproduktion kündigt damit auch schon ihren Anspruch an, denn die Entwicklung der Filmstory erweist sich als unberechenbar und der Zuschauer stellt sich irgendwann die Frage "Sind die beiden Männer, die gegen das Böse ankämpfen, tatsächlich die Guten ?".
Xavier Gens wurde bekannt durch seinen Horrorfilm "Frontiers" aus dem Jahr 2006, der neben "Martyrs" von Pascal Laugier (2008), "High Tension" von Alexandre Aja (2003), "Inside" von Julien Maury und Alexandre Baustillo für die neue harte Gangart im französischen Horrorfilm stand. Es folgte "Hitman" und der Endzeitschocker "The Divide". Gemessen an seinen bisherigen Filmen bedeutet "Cold Skin" aber in jedem Fall ein Aufbruch zu mehr Anspruch.
Kameramann Daniel Aranyos Bilder von der rauen See und der einsamen Insel sind sehr gut geglückt. Sie unterstützen damit auch die Themen wie Einsamkeit, die menschliche Psyche im Allgemeinen und das Verhältnis zwischen Mensch und einer anderen Species. Dabei sind diese Wesen, die von dem Wetteroffizier Friend (David Oakes) auf seiner einsamen Insel entdeckt werden, wohl nahe Verwandte zur amphibischen Kreatur aus Guillermo del Toros Oscarsieger "Shape of Water" und damit kommen natürlich unwillkürlich Erinnerungen mit dem Kiemenmenschen aus dem "Schrecken vom Amazonas" auf.
Bevor er Bekanntschaft mit diesen Meeresbewohnern macht, wird er von Captain Axel (John Benfield) mit einem Boot auf die Insel gebracht. Er soll dort 1 Jahr bleiben und seinen Vorgänger ablösen, der sich sicher schon auf seine irische Heimat freut und nach Hause will. Doch das Haus ist verlassen und sieht aus als würde schon länger keiner mehr darin wohnen. Nur der Leuchturmwärter Gruner (Ray Stevenson) lebt noch auf diesem Eiland und der gibt an, dass der Wetteroffizier an Typhus verstorben sei. Schon in den ersten Nächten beschleicht Friend das Gefühl, dass er und Gruner nicht die Einzigen sind, die auf der Insel leben. Doch mit Gruner kommt er nicht klar, er merkt dessen Ablehnung und für ihn ist Gruner ein Menschenfeind, ein notorischer Eigenbrötler. Doch als er mal mit dem Fernglas zum Leuchtturm schaut, meint er ein Mensch gesehen zu haben, der den Leuchtturmwärter begleitet. Bald entdeckt er dieses Wesen, dass kein Mensch ist. Ein krötenähnliches, weibliches Geschöpf (Aura Garrido), von Gruner gehalten wie ein Hund. Und es gibt noch mehrere dieser Species, aber die sind weniger freundlich wie dieses devote Weibchen. Nachts kommen die Monster aus dem Meer und im Kampf verliert Friend sein Haus, er wird notgedrungen in den Leuchtturm umziehen. Dort muss er sich gemeinsam mit Gruner dem Kampf gegen die Monster stellen und merkt, dass Gruner mit der Krötenfrau eine Art Beziehung hat. Nacht für Nacht stehen die Beiden am Fenster und warten bis die Schlacht mit den Eindringlingen beginnt...
Natürlich ist dem Zuschauer bald klar, dass der Mensch der eigentliche Aggressor ist. Somit liefert Xavier Gens mit seinem Horrorfilm keine neuen Erkenntnisse, aber das hat auch Guillermo del Toro in "Shape of Water" auch nicht getan. Dennoch bietet sein Film anspruchsvolle Genreunterhaltung, die dem Mensch ein bisschen den Spiegel vors Gesicht hält und auch wenn das Ende ein bisschen wie ein aufgesetzter Plot daherkommt, Die interessantere Filmfigur als die beiden Männer, die sich irgendwann ähnlich sind, ist zweifelsohne die Kreatur Aneris.
Bewertung: 7,5 von 10 Punkten.
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Donnerstag, 27. Dezember 2018
Raw
Regie: Julia Ducurnau
Lust auf Fleisch...
"Somos lo que hay" ist spanisch und heißt übersetzt "Wir sind was wir sind". Das Filmdebüt von Jorge Michel Grau erzählt die Geschichte einer Familie, die Menschenfleisch zum Überleben braucht. Es ist auch der erste nennenswerte Horrorbeitrag, der tiefer in die Welt der Menschenfresser eindringt und sich auch psychologisch diesem Zwiespalt dieser zerstörerischen Sucht der Protagonisten widmet. "Wir sind was wir sind" hatte beinahe schon eine poetische Note und Jim Mickles Remake für den US-Markt "We are what we are" tat es ihm gleich. So hatten beide Filme eine gewisse Verwandtschaft zum schwedischen Vampirfilm "So finster die Nacht", der auch ins Innenleben eines kleinen Vampirmädchen blickt und ihr einen introvertierten Jungen als Partner zur Seite stellt, damit sich die beiden anfreunden können. Erwähnenswert in dieser Genreschau ist natürlich auch Antonia Birds "Ravenous" und S. Craig Zahlers "Bone Tomahawk" - beide Arbeiten erzählen von Kannibalen im Wilden Westen. Frank Marshalls "Überleben" hatte das Flugzeugunglück vom 13. Oktober 1972 zum Thema. Die Maschine mit einer Gruppe junger Rugbyspieler stürzte in den Anden ab. Um zu überleben ernährten sie sich irgendwann vom Fleisch ihrer verstorbenen Kameraden.
Tatsächlich hat aber des Kinos Lieblingskannibale Hannibal Lecter deren Sicht auf die Menschenfresser verändert. Ein Feingeist, ein Psychiater mit der dunklen Leidenschaft als kannibalistischer Serienkiller und dessen Speiseempfehlung Kinogeschichte schrieb "Einer dieser Meinungsforscher wollte mich testen. Ich genoss seine Leber mit ein paar Fava-Bohnen, dazu einen ausgezeichneten Chianti".
In den 70ern hatte der Kannibalenfilm Hochkonjunktur mit "Mondo Cannibale" von Umberto Lenzi, "Der Vogelmensch" und vor allem durch "Cannibal Holocaust - Nackt und zerfleischt" von Ruggero Deodato. Diese Filme lösten eine Welle aus, alle sehr billig heruntergekurbelt und leider auch sehr oft mit widerlichen Tier Snuff Szenen angereichert.
Der französisch-belgische Film "Raw" (Original: Grave) geht da natürlich die Wege, die bereits mit "Wir sind was wir sind" eingeschlagen wurden und hat durch die noch sehr junge Protagonistin (eine Studentin der Tiermedizin) noch zusätzlich eine Coming of Age Variante. Die Regisseurin Julia Ducournau arbeitete mit einer tiefen Symbolik und destruktiver Atmosphäre. Die junge Studentin, noch ein Teenager, wird mit ihrer gewaltvollen, aggressiven und sexuellen Wildheit konfrontiert. Kritiker sehen die Nähe zu "So finster die Nacht" aufgrund des poetischen Einschlags und andere erkannten eine Mischung aus "Suspiria" und "Ginger snaps". Möglicherweise eine erotische Meditation über den Urhunger aller Art, nicht zuletzt über das Tier im Menschen.
In ihrem ersten Spielfilm versucht die Filmemacherin die Veränderungen eines Teenagers zu ergründen, die durch innere Einflüsse zur Erwachsenen Frau heranreift. Doch dieser Reifeprozess gestaltet sich als enorm schwierig. Justine (Garance Marillier) wird von ihren Eltern (Laurent Lucas/Joanna Preis) auf den Campus der Uni gefahren. Sie wird dort wie ihre ältere Schwester Alexia (Ella Rumpf) ihr Studium an einem Institut für Tiermedizin beginnen. Sie soll mit einer anderen Studentin ein Zimmer teilen, doch zu ihrer Überraschung wird der offen schwul lebende Adrien (Rabah Nait Oufella) ihr Zimmergenosse. Die Familie von Justine hat bisher streng vegetarisch gelebt, doch bereits das Aufnahmeritual an der Uni zwingt die junge Frau eingelegte Hasennieren zu essen. Vor allem ihre ältere Schwester drängt als ältere Kommilitonin die Neulinge zu diesem Ritual. Ein paar Tage später bekommt Justine einen Ausschlag. Kommt dieser Ausschlag, der sich an mehreren Stellen des Körpers ausbreitet, vom Fleischessen ? Sollte eigentlich mit einer Salbe in ein paar Tagen wieder gut sein, doch mental hat es was ausgelöst. In Justine kommt plötzlich eine Lust auf Fleisch zu essen. Mit ungeahnten Folgen und mit immer größerer Gier...
Ein ungewöhnlicher Horrorfilm mit einigen Szenen, ganz nah am Tabubruch. "Raw" ist die Geschichte einer introvertierten Aussenseiterin, die kannibalistische Neigungen bei sich entdeckt. Doch dieser Kannibalismus fungiert dabei auch als Metapher und symbolisiert die unterdrückte und unkontrollierte Sexualität, die allmählich in der jungen Frau erwacht und sie dabei den Boden unter den Füßen verliert. Es herrscht Chaos und sie verliert bei der Entdeckung dieser Neigung zunehmend die Kontrolle. Am Ende setzt die Regisseurin mit einem obskuren und auch zynischen Sahnehäubchen noch einen interessanten Plot. Natürlich erinnert dieser Bodyhorror auch an DAvid Cronenberg, den Meister dieser Sparte. Diie jungen Darsteller spielen klasse.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
Mandy
Regie: Panos Cosmatos
Der Rächer und die Teufelssekte...
Von einigen Kritikern wurde der Horrorfilm "Mandy" des kanadischen
Filmemachers Panos Cosmatos (der Sohn des griechischen Regisseurs George
Pan Cosmatos, der 2005 verstarb und in den 80er Jahren Erfolge mit
"City Cobra", "Leviathan" oder "Tombstone" hatte) hochgelobt und die
Machart des Films in die Nähe von Kubrick und Lynch gesetzt. Dieser
Vergleich ist zwar zu hoch gegriffen, aber sein Rache-Movie ist sehr
eigenwillig konzipiert und hat das Zeug zu einem Kultfilm.
"Mandy" wurde von keinem Geringerem als Elijah Wood und seiner auf
Horrorfilme spezialisierten Produktionsfirma SpectreVision
mitproduziert. Spectrevision scheint auch wohl auf eigenwillige
Horrorbeiträge zu stehen, denn sie haben auch dem feministischen
Vampirfilm der Iranerin Ana Lily Amirpour finanziell auf die Beine
geholfen.
"Mandy" überzeugt mit seinen visuellen Einfällen. Der Film wurde im
anamorphotischen Verfahren gedreht. Da der Film in den80ern spielt,
wurde ein Song von King Crimson aus dem Jahr 1974 als Titellied gewählt.
Es hat einen melancholischen Charakter - ähnlich wie ein dramaturgisch
wichtiger Song, der in der Mitte des Songs vom Sektenführer Jeremiah
Sand gesungen wird. Zu diesem Zeitpunkt ist auch endgültig die
Verwandtschaft dieses widerlichen Schurken mit Charles Manson gegeben,
der seine Jünger zu einer rassistischen und sektenähnlich strukturierten
Hippie-Kommune formte und durch die bestialischen Morde u.a. auf
Schauspielerin Sharon Tate in die Kriminalgeschichte einging.
Dramaturgisch wichtiger Bestandteil für die Atmosphäre des Films
ist nicht nur die exzellente Kameraarbeit von Benjamin Loeb. Auch der
Soundtrack des Isländers Johan Johannson setzt bedrückende und
geheimnisvolle Akzente. Der Musiker verstarb leider am 9. Februar dieses
Jahres durch eine Überdosis Kokain und Medikamenten in Berlin.
Als Hauptdarsteller wurde Nicolas Cage verpflichtet, der schon in
vielen guten Filmen mitmachte (8mm, Spiel auf Zeit, Birdy, Im Körper
meines Feindes, Wild at Heart, Leaving Las Vegas, Bringing out the Dead)
aber sicherlich in doppelt so vielen Filmgurken.
In der Nähe der Shadow Mountains und des Crystal Lakes lebt der
Holzfäller Red Miller (Nicolas Cage) mit seiner Freundin Mandy Bloom
(Andrea Riseborough), einer Künstlerin. Mandy arbeitet gelegentlich an
einer nahe gelegenen Tankstelle im Wald. Möglicherweise ahnt sie das
kommende Unheil, denn sie gesteht Red, dass sie gerne dort hinziehen
würde wo mehr Zivilisation gegeben ist. Die Idylle im Wald erzeugt
vielleicht auch eine gewisse Depression und Angst. Die Gespräche des
Paares sind sehr innig, man merkt, dass beide eine schwierige Erfahrung
hinter sich ließen und ihre Stärke aus der Gemeinsamkeit beziehen.
Auf dem Weg zur Arbeit geht Mandy durch den Wald. In dem Moment
fährt auch der Lieferwagen der "Children of the New Dawn" vorbei.
Sektenmitglieder, die von Jeremiah Sand (Linus Roache) angeführt werden.
Seine rechte Hand ist Brother Swan (Ned Dennehey). Mit Mother Marlene
(Olwen Fouere) und Sister Lucy (Line Pillet) sind auch zwei Frauen
dabei, die dem Sektenführer und seinen männlichen Jüngern auch sexuell
gefällig sein müssen und wollen. In dem Moment als Jeremiah Mandy dort
laufen sieht, hat er eine Erleuchtung, dass sie die Frau ist, die wie
geschaffen ist seine Gefährtin zu sein. Sie entführen mit Hilfe von vier
Motorradmutanten, die aus der Hölle entstammen könnten, die Frau und
versuchen sie mit bewusstseinserweiterten Drogen gefügig für ein Leben
als Sektenmitglied zu machen. Er präsentiert sich Bloom nackt, woraufhin
er von dieser ausgelacht wird. Sand lässt sie daraufhin vor Millers
Augen lebendig verbrennen und lässt letzteren gefesselt auf seinem
Grundstück zurück. Der schwört natürlich Rache...
Der erste Teil des Films dauert etwa eine Stunde und endet mit dem
Tod von Mandy. Diese sehr ausufernde Einleitung ist aber extrem gut
gemacht und leider fällt der Rachefeldzug - also der Höhepunkt des Films
- nicht ganz so stark aus. Wobei die fiese Geschichte am Ende noch
einmal alle Register zieht und einige sehr effektive Szenen für den
Zuschauer bereit hält. Zuschauer mit schwachen Nerven werden da nicht
geschont. Der Film ist als Old School Movie konzipiert, in einigen
Szenen erinnert man sich an die schöne Zeit, als man sich noch in der
Videothek des Vertrauens fürs Wochenende ein paar B-Horrorfilme
aussuchte. Cosmatos arbeitet sichtlich gerne mit Rotlicht, Filmnebel und
Farbfilter. Dies gibt dem Film auch eine lockere Verspieltheit, die
eigentlich dem schrecklichen Szenario zunächst nicht angemessen scheint.
Doch diese Gegensätze ziehen sich irgendwie an, genauso wie die beiden
sehr unterschiedlichen Filmhälften.
Bewertung: 6,5 von 10 Punkten.
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