Regie: Tod Browning
Der Kodex der missgestalteten Gauklertruppe...
Mit seinen Horrorfilmen "Dracula" und "Frankenstein" landete das
Universal Studio zu Beginn der 30er Jahre zwei phänomenale Erfolge.
Irvin Thalberg, der Chef des Konkurrenten MGM, entschloß sich ebenfalls
auf diese Erfolgsformel des Grauens zu setzen. So engagierte er den
Dracula Regisseur Tod Browing einen Horrorfilm zu drehen, der alle
bisherigen Produktionen in Sachen Furcht und Schrecken in den Schatten
zu stellen. Doch die Geschichte von "Freaks" wurde zunächst keine
Erfolgsstory. Zuerst sorgte die Zensurbehörde, dass der Film gekürzt
werden musste, weil viele Szenen zu verstört für das zeitgenössische
Publikum erschienen. "Freaks" war gewagt und bizarr und seiner Zeit um
Jahre bis Jahrzehnte voraus. Nach einem Kinostart, der immer noch ein
verstörtes, ratloses Publikum zurückließ, verschwand er erstmal in den
Archiven und wurde erst viele Jahre später als frühes Meisterwerk
wiederentdeckt und dann auch irgendwann sogar euphorisch gefeiert.
"Freaks" ist Grand Guignol im Perfektion und stellt die Gesetze des
konventionellen Hollywood Films gehörig auf den Kopf. Hier sind die
Aussenseiter - die Freaks, diese missgestalteten Gaukler - die Guten,
während die schöne Blondine und ihr athletischer Stecher alle bösen
Eigenschaften in sich vereinen.
Der Film basiert auf der Kurzgeschichte "Spurs" von Clarence Robbins,
die im Februar 1928 erschien. Entgegen üblichen Gepflogenheiten
entschloss sich Browning den Film so authentisch wie möglich zu
gestalten. Dies bedeutete, dass alle Darsteller echt waren und seine
"Stars" fand er auf Rummelplätzen und Zirkuszelten der ganzen Welt. Die
deutschen Geschwister Kurt und Hilda Emma Schneider, geboren im
sächsischen Stolpe, wanderten mit zwei weiteren kleinwüchsigen
Geschwistern bereits zwischen 1915 und 1920 nach Amerika aus und konnten
als "Doll Family" eine Showkarriere aufbauen.
Bereits in den 20er Jahren bekamen die Geschwister, die sich nun Harry
und Daisy Earles nannten, immer wieder kleinere Rollen in den
Stummfilmen Hollywoods.
Auch die siamesischen Zwillinge (Daisy und Violet Hilton), die
Stecknadel-Kopf Mädchen (Elvira und Jennie Lee Snow), der lebende Torso
(Prince Randian), der Boy ohne Unterleib (Johnny Eck), der Zwitter
(Josphine Joseph), der geistig behinderte Schlitzie (Schlitzie) oder die
bärtige Frau (Olga Roderick) waren zu jener Zeit die grusligen
Attraktionen von Jahrmärkten oder Circusvorstellungen.
Dort wurden sie zum Entsetzen einem neugierigen und schockierten
Publikum präsentiert und auch vorgeführt und rein oberflächlich könnte
man dem Film nun das gleiche Motiv unterstellen. Doch Regisseur
Browning, der selbst mehrere Jahre mit solchen Freaks im Zirkus leben,
verband diese Freakshow mit Tiefe und Toleranz. "Freaks" setzt trotz der
verstörenden Aura der Geschichte auch ein Zeichen für das Verständnis
der Andersartigkeit. Leider kam dieser Effekt in den 30er Jahren noch
nicht zur Geltung. Denn es war eine Zeit, in der Behinderungen als
moralisch bedenklich und sie machten durch ihr Anderssein Angst. Viele
Zuschauer verließen verstörend den Kinosaal wegen diesen "Monstern".
Dabei stattete der Regisseur seine missgebildeten Figuren mit viel Würde
und Sympathie aus. Sie sind die Opfer der Geschichte und werden von den
Normalos verlacht, verspottet, betrogen und sogar vergiftet.
"Freaks" beginnt mit einem Marktschreier, der einige neugierige
Zuschauer anlockt. Als die entsetzte Menge die Jahrmarksattraktion zu
Gesicht bekommt, gibt es entsetzte Schreie im Publikum. Eine
missgestalte Frau ist zu sehen. Und der Markschreier erzählt der Menge
ihre tragische Geschichte. Denn die Frau war einmal eine wunderschöne
Trapezkünstlerin namens Cleopatra (Olga Baclanova). Die wird von Hans,
dem Zwerg (Harry Earles) verehrt. Obwohl dieser bereits mit der Zwergin
Frieda (Daisy Earles) verlobt ist. Ansonsten ist bei den Artisten und
Künstlern immer was los. Venus (Leila Hyams) hatte eine Affäre mit dem
groben und aggressiven Muskelprotz Hercules (Henry Victor) und wendet
sich dem Clown Phroso (Wallace Ford) zu. Hercules macht daraufhin
Cleopatra schöne Augen, die ein Verhältnis mit ihm beginnt. Das hält die
hinterhältige Schöne aber nicht davon ab weiterhin mit dem naiven Hans
zu flirten. Grund für diese Hinwendung: Hans ist spendabel und hat der
großen Frau, die er begehrt, auch schon oft Geld ausgeliehen. Als
Cleopatra auch noch zufällig erfährt, dass Hans eine riesige Erbschaft
gemacht hat, fasst sie den Plan den von ihr verachteten Zwerg zu
heiraten. Somit käme sie ans Vermögen, vor allem dann wenn der Gatte
plötzlich überraschend sterben würde. Gift wird besorgt und während der
Hochzeitsfeier dem Ahnungslosen ins Glas geschüttet. Auch Cleopatra
trinkt zuviel und sie zeigt auch ihre wahres Gesicht, als sie die
verstammelten Mißgestalteten aufs Übelste verhöhnt. Grund genug für die
eingeschworene und solidarische Aussenseitergemeinschaft die Frau
intensiver zu beobachten. Die Rache wird fürchterlich sein...
Tod Browning gelang eine Mischung aus Zirkusposse, romantischer Komödie
und Rachedrama. Sehr gut ist zu erkennen, dass durch das fiese
durchtriebene Spiel der bösen Frau der arme Hans immer weiter
gedemütigt, herabgesetzt und so amch "verkleinert" wird. Das komische
Ungehagen - vor allem auch durch die Bosheiten der Normalen - wird
alsbald durch vollständiges Grauen ersetzt. Dabei zeigt sich die Kraft
und der große Zusammenhalt dieser eingeschworenen Gemeinschaft, die
einen eigenen Kodex haben nach dem Motto "Alle für Einen, Einer für
Alle" "Freaks" besitzt m.E. eine zutiefst humane Botschaft und ein
grandioses Kuriosum in der Geschichte des Horrorfilms.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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