Mittwoch, 7. November 2018

Die Zärtlichkeit der Wölfe

























Regie: Ulli Lommel

Tür an Tür mit dem Vampyr...

1995 verfilmte Romuald Karmakar mit Götz George in der Hauptrolle den Erfolgsfilm "Der Totmacher". Insgesamt wurde dieses Kammerspiel mit drei deutschen Filmpreis (Filmband in Gold, Beste Regie, Bester Darsteller) ausgezeichnet und hält sich dabei präzise an die originalen Verhörprotokolle während der Befragung des Serienmörders Fritz Haarmann im Jahr 1924. Am 15. April 1925 wurde der Mann wegen insgesamt 24 Jungen und jungen Männern im Alter von 10 bis 22 Jahren hingerichtet. Sein Fall sorgte natürlich in der Weimarer Republik für Aufsehen und Angst. Es gab sogar ein Lied, in dem seine Greueltaten besungen wurde "Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir, mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Schabefleisch aus Dir.
Haarmann wurde auch "Der Vampir", "Der Schlächter", "Der Kannibale" oder "Der Werwolf von Hannover" genannt. Denn er zerstückelte die Leichen der Jungs, die er meistens vorher wie ein Vampir in den Hals biss.
Lange vor Karmakar -im Jahr 1973 -  drehte auch Ulli Lommel einen Film über diesen kranken Knabenmörder. Der Film wurde zu seiner Zeit ein Kino Arthaus Erfolg und lief in Paris über ein Jahr lang im Kino.
In Lommels Film verkörpert Kurt Raab diesen Mann, der diese Jungs (u.a. Rainer Will, Ingo Natzel, Hans Tarantik, Christoph Eichhorn, Johannes Wacker, Oliver Hirschmüller, Doris Mattes) mit nach Hause nimmt, ihnen Zuneigung und Zärtlichkeit gibt und dann wie ein Wolf sein Opfer reißt. Er wirkt bei diesen Handlungen nie glücklich, sondern getrieben von einer unstillbaren Sehnsucht. Nach der grauenvollen Tötung verarbeitet er den Körper sachgerecht in kleine Stücke. Das Fleisch isst er selbst, aber einen beträchtlichen Teil verteilt und verkauft er an Bekannte und Nachbarn. Diesen Nachbarn ist "der Fritz, der auf kleine Jungs steht" nicht geheuer, aber viele von Ihnen akzeptieren ihn. Nur vereinzelt gibts Menschen wie Frau Lindner (Margit Carstensen), denen das nächtliche Klopfen in der Wohnung Harmanns nicht nur nervt, sondern auch verdächtig vorkommt.
Lommels Haarmann ist eine Mischung aus dem Kindermörder in Fritz Langs "M" und aus Murnaus "Nosferatu". Einerseits ein schwacher Charakter, andererseits kompromisslos wie der Vampir, wenn er zur Tat schreitet.
Seine Liebe gilt dem Ganoven Hans Grans (Jeff Roden), der aber auch mit Frauen verkehrt und der die Großzügigkeit seines schwulen Freundes auch auszunutzen weiß. Gemeinsam begehen sie auch Gaunereien und werden von der Polizei erwischt. Doch die Kommissare Braun (Wolfgang Schenck) und Müller (Rainer Hauer) kehren das Vergehen unter den Tisch - Haarmann mit seinen Connections im Milieu ist für sie der perfekte Spitzel. 
Zur gleichen Zeit finden die Morde in Hannover statt. Die Polizei ahnt nicht, dass sie nun mit diesem Mörder zusammenarbeitet. Sie gibt ihm durch diese Stellung sogar die Möglichkeit ganz offen weitere Opfer anzulocken, denn als Kommissar hält sich Haarmann am späten Abend auf dem Bahnhof auf, dort gibts viele dieser ahnungslosen, noch unschuldigen Jungen, die von zu Hause abgehauen sind und sich als Stricher über Wasser halten...






Kurt Raab liefert eine gespenstisch gute Darstellung des süchtigen Mörders, der keine Grenzen mehr zu kennen scheint. Regisseur Ulli Lommel war in vielen Filmen Fassbinders als Darsteller zu sehen. Vor allem seine Hauptrolle als eleganter und eiskalter Gangster in "Liebe ist kälter als der Tod" ist in bleibender Erinnerung geblieben. Lommel bekam dann selbst Lust auf eigene Inszenierungen - "Die Zärtlichkeit der Wölfe" ist sein zweiter Film, er bekam damals sehr gute Kritiken, viele Zuschauer waren auf gleichermaßen fasziniert wie auch angewidert von diesem Aussenseiter, der im normalen Leben, in seinem Umfeld für die meisten so harmlos und geradezu sensibel wirkt. Die Handlung verlegte der Regisseur vom Hannover der 20er Jahre in die Nachkriegsjahre im Ruhrgebiet. Rainer Werner Fassbinder beteiligte sich aktiv am Film, er ist auch als Nebendarsteller zu sehen. Das Drehbuch wurde von Kurt Raab geschrieben und sehr viele Schauspieler und Freunde aus Fassbinders Umfeld sind in Nebenrollen zu sehen: Brigitte Mira, Rosel Zech, Ingrid Caven, El Hedi Ben Salem, Tana Schanzara, Irm Hermann, Jürgen Prochnow, Peter Chatel.
"Die Zärtlichkeit der Wölfe" schafft es auf irritierende Weise diesem Horror eine melancholische und poetische Note zu verpassen. Dies mag zwar unbequem sein, macht den Film aber zu etwas Besonderem. In all den Jahren geriet der Film des 2017 an einem Herzinfarkt verstorbenen Lommel arg in Vergessenheit, der Restauration durch die Rainer Werner Fassbinder Foundation ist es zu verdanken, dass es nun wieder die Möglichkeit gibt diesen sehr aussergewöhnlichen Serienkillerfilm zu sehen.





Bewertung: 9 von 10 Punkten. 

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