Regie: Ulli Lommel
Tür an Tür mit dem Vampyr...
1995 verfilmte Romuald Karmakar mit Götz George in der Hauptrolle
den Erfolgsfilm "Der Totmacher". Insgesamt wurde dieses Kammerspiel mit
drei deutschen Filmpreis (Filmband in Gold, Beste Regie, Bester
Darsteller) ausgezeichnet und hält sich dabei präzise an die originalen
Verhörprotokolle während der Befragung des Serienmörders Fritz Haarmann
im Jahr 1924. Am 15. April 1925 wurde der Mann wegen insgesamt 24 Jungen
und jungen Männern im Alter von 10 bis 22 Jahren hingerichtet. Sein
Fall sorgte natürlich in der Weimarer Republik für Aufsehen und Angst.
Es gab sogar ein Lied, in dem seine Greueltaten besungen wurde "Warte,
warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir, mit dem kleinen
Hackebeilchen, macht er Schabefleisch aus Dir.
Haarmann wurde auch "Der Vampir", "Der Schlächter", "Der Kannibale"
oder "Der Werwolf von Hannover" genannt. Denn er zerstückelte die
Leichen der Jungs, die er meistens vorher wie ein Vampir in den Hals
biss.
Lange vor Karmakar -im Jahr 1973 - drehte auch Ulli Lommel einen
Film über diesen kranken Knabenmörder. Der Film wurde zu seiner Zeit ein
Kino Arthaus Erfolg und lief in Paris über ein Jahr lang im Kino.
In Lommels Film verkörpert Kurt Raab diesen Mann, der diese Jungs
(u.a. Rainer Will, Ingo Natzel, Hans Tarantik, Christoph Eichhorn,
Johannes Wacker, Oliver Hirschmüller, Doris Mattes) mit nach Hause
nimmt, ihnen Zuneigung und Zärtlichkeit gibt und dann wie ein Wolf sein
Opfer reißt. Er wirkt bei diesen Handlungen nie glücklich, sondern
getrieben von einer unstillbaren Sehnsucht. Nach der grauenvollen Tötung
verarbeitet er den Körper sachgerecht in kleine Stücke. Das Fleisch
isst er selbst, aber einen beträchtlichen Teil verteilt und verkauft er
an Bekannte und Nachbarn. Diesen Nachbarn ist "der Fritz, der auf kleine
Jungs steht" nicht geheuer, aber viele von Ihnen akzeptieren ihn. Nur
vereinzelt gibts Menschen wie Frau Lindner (Margit Carstensen), denen
das nächtliche Klopfen in der Wohnung Harmanns nicht nur nervt, sondern
auch verdächtig vorkommt.
Lommels Haarmann ist eine Mischung aus dem Kindermörder in Fritz
Langs "M" und aus Murnaus "Nosferatu". Einerseits ein schwacher
Charakter, andererseits kompromisslos wie der Vampir, wenn er zur Tat
schreitet.
Seine Liebe gilt dem Ganoven Hans Grans (Jeff Roden), der aber auch
mit Frauen verkehrt und der die Großzügigkeit seines schwulen Freundes
auch auszunutzen weiß. Gemeinsam begehen sie auch Gaunereien und werden
von der Polizei erwischt. Doch die Kommissare Braun (Wolfgang Schenck)
und Müller (Rainer Hauer) kehren das Vergehen unter den Tisch - Haarmann
mit seinen Connections im Milieu ist für sie der perfekte Spitzel.
Zur gleichen Zeit finden die Morde in Hannover statt. Die Polizei
ahnt nicht, dass sie nun mit diesem Mörder zusammenarbeitet. Sie gibt
ihm durch diese Stellung sogar die Möglichkeit ganz offen weitere Opfer
anzulocken, denn als Kommissar hält sich Haarmann am späten Abend auf
dem Bahnhof auf, dort gibts viele dieser ahnungslosen, noch unschuldigen
Jungen, die von zu Hause abgehauen sind und sich als Stricher über
Wasser halten...
Kurt Raab liefert eine gespenstisch gute Darstellung des süchtigen
Mörders, der keine Grenzen mehr zu kennen scheint. Regisseur Ulli Lommel
war in vielen Filmen Fassbinders als Darsteller zu sehen. Vor allem
seine Hauptrolle als eleganter und eiskalter Gangster in "Liebe ist
kälter als der Tod" ist in bleibender Erinnerung geblieben. Lommel bekam
dann selbst Lust auf eigene Inszenierungen - "Die Zärtlichkeit der
Wölfe" ist sein zweiter Film, er bekam damals sehr gute Kritiken, viele
Zuschauer waren auf gleichermaßen fasziniert wie auch angewidert von
diesem Aussenseiter, der im normalen Leben, in seinem Umfeld für die
meisten so harmlos und geradezu sensibel wirkt. Die Handlung verlegte
der Regisseur vom Hannover der 20er Jahre in die Nachkriegsjahre im
Ruhrgebiet. Rainer Werner Fassbinder beteiligte sich aktiv am Film, er
ist auch als Nebendarsteller zu sehen. Das Drehbuch wurde von Kurt Raab
geschrieben und sehr viele Schauspieler und Freunde aus Fassbinders
Umfeld sind in Nebenrollen zu sehen: Brigitte Mira, Rosel Zech, Ingrid
Caven, El Hedi Ben Salem, Tana Schanzara, Irm Hermann, Jürgen Prochnow,
Peter Chatel.
"Die Zärtlichkeit der Wölfe" schafft es auf irritierende Weise
diesem Horror eine melancholische und poetische Note zu verpassen. Dies
mag zwar unbequem sein, macht den Film aber zu etwas Besonderem. In all
den Jahren geriet der Film des 2017 an einem Herzinfarkt verstorbenen
Lommel arg in Vergessenheit, der Restauration durch die Rainer Werner
Fassbinder Foundation ist es zu verdanken, dass es nun wieder die
Möglichkeit gibt diesen sehr aussergewöhnlichen Serienkillerfilm zu
sehen.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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